Schwanger mit 15: Warum ich nicht abgetrieben habe.

Es gibt verschiedene Situationen, in welchen sich eine Frau entschliessen könnte, ihr Kind abzutreiben. Die Karriere ist eine Sache. Oder es passt gerade nicht in die momentane Lebenssituation, in die eigenen Vorstellungen der Zukunft. Dann sind hier Behinderungen und Vergewaltigungen zu erwähnen. Zu jung, kein Geld keine Ausbildung, einfach überfordert von der ganzen Situation, dies wird wohl häufig der Fall sein.. Ich werde nur einen Standpunkt vertreten können und kann somit andere Situationen nicht beurteilen.

Ich bin 20 Jahre alt und besuche das Kindergartenseminar im 2. Semester. Ich wohne bei meinen Eltern und führe heute eigentlich ein "ähnliches" Leben wie viele in meinem Alter. Allerdings ist mein Leben nicht so geplant verlaufen wie das vieler meiner Kolleginnen. Mit 15 Jahren wurde ich schwanger von meinem damaligen Freund, mit welchem ich schon 3 Monate lang zusammen war. Wir benutzten Präservative. Wie man aber weiss, ist das nicht die sicherste Lösung. Wir besuchten dieselbe Klasse und verheimlichten das ganze 1 Monat lang, Tag für Tag. Ich sprach damals nicht einmal mit meinem Freund richtig darüber, denn wir wussten nicht recht, wohin wir mit unseren Gefühlen sollten. Wenn wir darüber sprachen, drehten wir uns im Kreis, da wir beide keine Ahnung hatten von irgendwelchen Möglichkeiten. Natürlich wussten wir beide von Abtreibungen, hatten jedoch kein genaues Bild davon. Er war sofort begeistert von dieser Idee. Was hatten wir denn für eine andere Wahl? Unser Spektrum an Lösungen schien relativ stark begrenzt zu sein.

Hauptsache alles würde wieder so werden wie früher! Wir klammerten uns an dieser Idee fest und hofften doch noch auf einen Ausweg aus dieser ganzen Misere. Ich schob den Gedanken beiseite so gut es ging.
Jedoch kamen immer wieder diese Gefühle in mir hoch: Hey, in meinem Bauch ist ein Kind! Das war eine Sache, die mein Freund natürlich nicht miterlebte. Er sah die ganze Angelegenheit noch eine Spur sachlicher als ich - wie konnte er anders! Ich machte keine Anstalten nach Lösungen zu suchen. Ich war wie blockiert. Auch dachte ich sehr oft an ein Loch im All, wo ich durchschlüpfen könnte. Niemandem was sagen, bloss das nicht, einfach diese Welt verlassen.

Dazu kam diese Riesenangst vor meinem Umfeld, denn niemand hätte das je gedacht. Ich hatte Angst, dass niemand zu mir stehen würde. Ich war mir sogar ziemlich sicher, dass ich davongejagt werde. In meinen Gedanken spann ich mir die schrecklichsten Dinge zusammen. "Ich bin jetzt also schwanger"! Man kann sich vielleicht schlecht vorstellen, was dieser Gedanke für ein Gefühlschaos in einem 15jährigen Mädchen anrichtet. Ich fühlte mich der Situation völlig und ganz unterlegen.

Die nächste Unterstützung kam von engeren Freunden, welchen ich es erzählte. Geld sammeln für eine Abtreibung, dies war wenigstens eine Unterstützung, denn mein Freund und ich waren uns bewusst, dass uns das Geld für eine Abtreibung fehlte. Hier kommt der entscheidende Punkt. Hätten sich hier meine Eltern nicht eingeschaltet, würde heute kein strahlendes 4jähriges Mädchen mit ihren Rollerblades um unser Haus flitzen.
Es war an einem Morgen, als ich wie immer erbrechen musste, bevor ich zur Schule ging. Ich sass ziemlich verstört vor unserem Haus auf der Treppe und hatte die Wahl: Gehe ich wieder hinein und erzähle entgegen meinem Vorhaben alles meiner Mutter oder gehe ich wie immer normal zur Schule? Dann hielt ich es auf einmal nicht mehr aus. Kurz entschlossen ging ich ins Haus zurück und stand vor meine verschlafene Mutter hin. Sie schaute mich an und stellte mir diese eine Frage. Sie wusste sogleich was los war. Ich ging ehrlich gesagt beinahe überglücklich in die Schule. Mein Gedanke war: Alles wird nun wieder gut. Nun wird mir geholfen.

Wenig später sass die ganze Familie zusammen und beriet, wie es weitergehen soll. Schon da kam Abtreibung nicht mehr zur Sprache. Sie war bereits abgehakt. Wir beschlossen, dass ich für eine Zeit weggehe von zu Hause. Ich machte bei einer Verwandten den Haushalt, verliess also die Schule.

In dieser Zeit herrschten Unglaublichkeit, Unfassbarkeit und vielleicht auch ein wenig Hilflosigkeit bei mir zu Hause. Auf so etwas war niemand vorbereitet gewesen. Meine Eltern waren die nächste Zeit ziemlich niedergeschmettert und hinterfragten sich tausendmal. Die Sache pendelte sich jedoch nach etwa 2 Monaten in meiner Familie langsam ein und wurde zum einigermassen normalen Zustand, was sich anfangs niemand hatte vorstellen können. Mein Vater war der ruhige Pol in der ganzen Geschichte. Für ihn war von Anfang an eine Abtreibung so verwerflich, dass er nie darüber nachdachte.

Mein Freund erlebte zu dieser Zeit etwa das Ähnliche bei sich zu Hause. Der ganz grosse Unterschied war jedoch, dass man von dieser Seite nur das Wort Abtreibung hörte. Es gab lange Diskussionen, in welchen meine Eltern ihren Standpunkt eisern vertraten, wofür ich sie heute bewundere. Mein damaliger Freund kam mit der Situation nicht klar, was ich ihm, wenn ich zurückdenke, nicht übel nehme, denn er hatte eine etwas andere Unterstützung als ich. Unsere Beziehung ging damals auseinander. Ich selbst verwarf den Gedanken einer Abtreibung zu dem Zeitpunkt, als ich begriff, dass ich tatsächlich Unterstützung hatte und meine Eltern voll hinter mir standen. Erst da bemerkte ich, wie sehr mich diese hoffnungslose Situation mit Endlösung Abtreibung in den Boden gedrückt hatte.

Doch damit waren die Aussichten sicher viel rosiger, jedoch stand mir jetzt eine Schwangerschaft bevor.
Die Zeit, in der ich schwanger war, war relativ schwierig für mich, denn ich passte einfach nicht so ganz in diese Rolle. Ich fühlte mich völlig einsam und allein. Mir passte dieses gemütliche Leben einer schwangeren Frau überhaupt nicht: Langsam die Treppe hinauf, nie zu stark aufregen... Ich hatte zu dieser Zeit nicht viel Kontakt zu Gleichaltrigen und wurde ziemlich in mich gekehrt.

Schon damals fragten mich Leute, ob ich denn meine jetzige Situation nie mehr mit einer Abtreibung verglich.. Wenn ich jetzt zurückdenke, hab ich wirklich nie mehr in den letzten 4 1/2 Jahren einen klitzekleinen Gedanken daran verschwendet. Auch dieFrage, ob ich es nichtbereue, dass ich nicht abgetrieben habe, kann ich 100% verneinen. Meine Tochter Vivian versprüht eine solch riesige Lebensfreude, dass der Gedanke zu weit weg ist. Für mich war und ist der Gedanke an eine Abtreibung meilenweit weg. Wie für jede andere Mutter auch gehörte mein Kind zu meinem Leben. Ich denke auch nicht darüber nach was wäre, wenn ich Vivian nicht hätte, denn sie ist ein Teil von mir, so logisch wie das Ein mal Eins. Genau wie jede andere Mutter auch nicht darüber nachdenkt was wäre, wenn ihr Kind nicht da wäre.

Sie werden sich sicher fragen: Wie schmeissen wir eigentlich die ganze Sache heute? Nun, ich gehe zur Schule, mache meine Ausbildung als Kindergärtnerin. Damit ich dies tun kann, hat meine Mutter ihre Arbeit zurückgesteckt und schaut in dieser Zeit nach Vivian. Für meine Mutter ist sie wie eine eigene Tochter. Ich habe eine gute Beziehung zu meiner Tochter. Ich denke, dass sie ermöglicht wird durch die Hilfe meiner Mutter. Durch meine Mutter habe ich auch ein wenig Abstand vom Mutterdasein und kann doch noch meinen eigenen Bedürfnissen nachgehen. Meine Bedürfnisse sind natürlich auch da und die gilt es oft zurückzustecken. Ich bin dazu ein sehr freiheitsliebender Mensch und fühle mich manchmal richtig an mein Elternhaus gefesselt. Irgendwo ist hier die totale Abhängigkeit, die ich manchmal sehr stark zu spüren bekomme. Ich möchte diese Seite ganz ehrlich auch aufzeigen, denn sie existiert genau so, wie die andere auch.

Was die Erziehung angeht, bin ich in vielen Dingen ähnlicher Ansicht wie meine Mutter und wenn es nicht so ist, dann müssen wir eben schauen, dass wir irgendwie miteinander klarkommen. Es gab Zeiten, in welchen wir uns wortwörtlich aus dem Wege gehen mussten. Zum Teil hatten und haben wir wirklich genug voneinander. Wir haben natürlich auch eine etwas spezielle Rollenverteilung in unserer Familie. Das heisst, mein Vater wird zum Beispiel von Vivian auch als ihr Vater angenommen, obwohl sie ganz genau weiss, dass er es nicht ist. Sie bemerkte schon früh, dass hier ein Mann fehlt. So kommt es, dass sie sehr skeptisch jedem jungen männlichen Wesen gegenübertritt, dass unser Haus betritt.

Sie ist aber auch oft skeptisch der ganzen Situation gegenüber und stellt viele Fragen, welche es ihr natürlich dann zu erklären gilt. Warum geht meine Mutter zur Schule warum ist sie so jung und vieles mehr. Ich denke dass sie auch irgendwann nach ihrem Vater fragen wird und wahrscheinlich werde ich ihm dann ganz einfach mit ihr einen Besuch abstatten. Schliesslich hat sie das Recht dazu zu wissen, wo ihre andere Hälfte herkommt..

Ich bin mir bewusst, dass die Schilderung meiner Situation im Gegensatz zu Erlebnissen von anderen Frauen relativ rosig tönt. Ich möchte auch betonen, dass es nicht mein starker Wille war, der die Abtreibung verhinderte, obwohl das natürlich nicht schlecht klingen würde. Die Leute sollen verstehen, in was für einer Situation sich ein solches Mädchen befindet. Genau hier fehlt der starke Wille, der für die Selbstbestimmung, von welcher in der Fristenlösung die Rede ist, ganz klar vorhanden sein müsste. Es gibt wohl nicht viele Situationen, in welchen ein Mensch labiler ist, als in einer solchen wie ich es war. Man darf und kann auf gar keinen Fall in dieser Situation über Leben oder Tod eines Menschen entscheiden.

Noch kurz zum Namen meiner Tochter. Vivian ist englisch und bedeutet die Lebensvolle. Das war mir jedoch nicht bewusst, als ich diesen Namen wählte. Jedoch strahlt sie genau das aus. Sie liebt das Leben und ich bin froh, dass ich es ihr nicht genommen habe.

Nina Walder


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